Die 1977 in Belgrad geborene Regisseurin Bojana Lazić gab im September mit Mark Ravenhills Stückzyklus WIR SIND DIE GUTEN ihr erfolgreiches Debüt im deutschsprachigen Theaterraum. Es ist vor allem ihr Blick von außen, als Nicht-EU-Bürgerin auf Deutschland und die Europäische Union, der in ihrer Inszenierung deutlich zum Ausdruck kommt. Gerade die allgegenwärtige Sehnsucht nach Sicherheit, gepaart mit dem Wunsch nach Abschottung gegenüber allem Fremden und Unbekannten, hat Bojana Lazić während ihres Aufenthalts hier in Deutschland als starkes Grundgefühl bei vielen Menschen verspürt. In diesem Punkt treffen sich nahezu deckungsgleich ihre Beobachtungen mit Mark Ravenhills Charakteren in seinem teils bitter-bösen, teils absurd-komischen, schließlich auch tragischen Stückzyklus. WIR SIND DIE GUTEN ist wie ein Spiegel unserer Zeit und unserer Gesellschaft. Wenige Tage vor der Premiere traf Kathrin Kramer Bojana Lazić für ein Porträt.

Vor der Premiere: Gespräch mit der Regisseurin Bojana Lazić

Die Entscheidung fiel am Beckenrand eines Schwimmbades in Belgrad. So jedenfalls lautet die Kurzfassung ihres beruflichen Werdegangs. Und kurz muss sich die serbische Regisseurin Bogana Lazic fünf Tage vor der Premiere fassen. WIR SIND DIE GUTEN heißt das Stück des britischen Gegenwartsautors Mark Ravenhill, das sie für das Theater Freiburg inszeniert. Es ist nicht nur ihre erste Arbeit für ein deutschsprachiges, sondern auch für ein Theater im westlichen Teil Europas.

Sie wolle Schauspielerin werden, erzählte ihr die Freundin damals im Schwimmbad. Am Ende der Bahn war auch ihre Entscheidung getroffen. Sie werde Regisseurin. Ein Jahr später, 1996 und sie war gerade 19 Jahre alt, begann sie die vierjährige Ausbildung an der Belgrader Universität der Künste. Seitdem führt Bojana Lazić Regie, bisher vor allem an Theatern in Serbien, Montenegro, Kroatien und Albanien. Im vergangenen Jahr besuchte der Freiburger Intendant Peter Carp am Nationaltheater in Belgrad eine Inszenierung der inzwischen renommierten Regisseurin und lud sie zu einer Gast-Arbeit für die Freiburger Bühne ein - ganz im Sinne seines Konzepts vom „Theater als Weltempfänger“. Sie stimmte zu, nachdem sie den Text von Mark Ravenhill, den Dramaturg Michael Billenkamp ihr zuschickte, gelesen hatte.

Die Auseinandersetzung mit Ravenhill, für sie „einer der größten aktuellen Dramatiker“, empfand sie als besondere und willkommene Herausforderung. Sie habe sich, sagt sie, sofort mit etwas verbinden können, das der Text transportiere, ohne dass es explizit darin stehe. Sie faszinierten seine Figuren, die sie auf einem schmalen Grad sieht zwischen Mensch und Tier, „ohne Moral, ohne Prinzip, ohne Vertikale“.

Ravenhills Text mit dem Originaltitel SHOOT/ GET TREASURE/ REPEAT entstand 2007 während des Fringe Theaterfestivals in Edinburgh. Er besteht aus siebzehn Kurzdramen, geschrieben in Folge, aufgeführt jeweils am nächsten Morgen des Festivals. Das Personal wechselt, das Thema bleibt gleich. Alle sind getrieben von irrationalen Ängsten, die mit der sie umgebenden Sicherheit nicht ab-, sondern zunehmen. Statt wahrzunehmen, was wirklich bedrohlich ist, kreist ihr Blick um die eigene Befindlichkeit.

Bojana Lazić ist in Belgrad aufgewachsen und wohnt dort immer noch. Sie hat den Jugoslawienkrieg miterlebt und die Bombenabwürfe auf ihre Heimatstadt. Die Bemühungen Serbiens um Aufnahme in die EU verfolgt sie mit zunehmendem Argwohn, seit die EU sich mehr und mehr abschottet. Auf die Ängste, die sie in den Ländern der EU wahrnimmt, blickt sie von außen und wundert sich. Sie empfindet die gesamte EU inzwischen als „Gated Community“, in der mit der Höhe der Grenzzäune und dem Ausbau von Sicherheitssystemen auch die Ängste zu wachsen scheinen.

Wir sind die Guten // Thieß Brammer, Rosa Thormeyer// Foto: Marc Doradzillo / 2018
Wir sind die Guten // Anja Schweitzer // Foto: Marc Doradzillo / 2018
Wir sind die Guten // Hartmut Stanke, Thieß Brammer // Foto: Marc Doradzillo / 2018
Wir sind die Guten // Anja Schweitzer, Rosa Thormeyer, Hartmut Stanke, Thieß Brammer, Marieke Kregel // Foto: Marc Doradzillo / 2018
Wir sind die Guten // Rosa Thormeyer, Hartmut Stanke, Marieke Kregel, Anja Schweitzer, Thieß Brammer // Foto: Marc Doradzillo / 2018

Genau das, was Ravenhill beschreibt, beobachtet die Regisseurin im Westen mit Befremden: wie die Sehnsucht nach Sicherheit immer neue Ängste kreiert und schürt. Von Serbien aus betrachtet, sagt sie, sollten die Menschen hier vielmehr ihre Sicherheit genießen und ihren Lebensstandard: „free to scream, to hug, to kiss“ (frei zu lachen, sich zu umarmen, zu küssen). In Serbien seien die Leute so damit beschäftigt, irgendwie für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, dass sie gar keine Zeit haben, solche Ängste zu entwickeln, wie sie hier ihrem Eindruck nach kursieren.

Aus den siebzehn Dramoletten, die Ravenhill verfasste, wählten Regisseurin und Dramaturg die acht aus, die durch das Thema Familie verbunden sind. Als Rahmen für die Einzelteile schufen sie eine Gated Community, einen geschützten, hoch gesicherten Raum, in dem die Menschen ihre Ängste hüten und Distanz halten. Würde sie das Stück für ein serbisches Publikum anders inszenieren? „Nein“, sagt die Regisseurin. Sie inszeniere aus ihrem Blickwinkel heraus, nicht aus dem des Publikums.

Bojana Lazić hat sehr leuchtend rot geschminkte Lippen und sehr klare grüne Augen und holt beim Reden, nicht nur der knappen Zeit wegen, nie weit aus. Sie glaubt nicht, die Welt mit Hilfe des Theaters verändern zu können. Sie will von Dingen erzählen, die sie beschäftigen, bewegen, umtreiben. Und weil sie eher scheu sei, ist sie froh einen Weg gefunden zu haben, sich auszudrücken, ohne ihr Gesicht zeigen und selbst auf der Bühne stehen zu müssen. Sie will mittels Theater Fragen stellen und zum Nachdenken über Fragen verführen.

Eigentlich jedoch schätzt sie das Reden über das, was Theater kann oder nicht kann, gar nicht. „Die Leute sollen lachen und weinen“, sagt sie. Theater entstehe, wo Gefühle im Spiel sind.
Ende des Gesprächs.

Die Probe geht weiter.

Kathrin Kramer